Referat von André Stern in Wohlen

Bericht vom Wohler Anzeiger vom 16.09.2011:

Plädoyer für mehr Freiheit

Ein Leben ohne Schule? Geht das? Diese Fragen stellten sich die Gäste des Referats von André Stern. Sie kehrten heim mit dem guten Gefühl, dass es auch ein Leben ohne Schule, aber sehr wohl mit Bildung gibt.

Nur das tun, wonach einem der Sinn steht. Wer träumt nicht auch davon? André Stern macht sein ganzes Leben lang nichts anderes. Und so verwundert es nicht, wenn er über sich selbst sagt, dass er ein sehr glücklicher Mensch sei.

André Stern wurde 1971 als Sohn des Reformpädagogen und Forschers Arno Stern in Paris geboren. Weil seine Eltern die Entwicklung von André und seiner Schwester in allen Details miterleben wollten, entschlossen sie sich, ihre Kinder nicht in die Schule zu schicken. Das schloss aber nicht aus, dass die Kinder lernten.

"Wir hatten Regeln, an die wir uns halten mussten", erzählte er dem staundenden Publikum. "Wie sah denn Ihr Tag aus?", wollte eine Frau wissen. Es habe keinen eigentlichen Alltag gegeben, antwortete er. Einige Pflichten stellte er sich selbst. Dazu gehört auch heute noch, dass er um 6 Uhr aufsteht, regelmässig liest und übt und jeden Tag eine Seite schreibt. Sein Wissen hat Stern nicht ausschliesslich aus Büchern. "Ich sprach mit Leuten und besuchte Kurse", erzählte er und fügte an: "Man lernt von allen und allem."

Stern lernte fernab von Leistungsdruck und Stress. "Ich verfügte über meine ganze Zeit", kommentierte er seine komfortable Situation und weckte damit Sehnsüchte beim Publikum. "Das ist ein Plädoyer für mehr Freiheit", sagte er und forderte dazu auf, sich zu überlegen, wie die Schule wäre, wenn sie auf Freiwilligkeit basieren würde. "Das wäre cool", entfuhr es einer Lehrerin. "Sehen Sie, darüber sollte man vermehrt nachdenken", entgegnete er.

Seine glücklichsten Momente habe er erleben dürfen, wenn er sich in absoluter Konzentration einer Sache habe widmen können. Es habe im Hause Stern auch nie Diskussionen um das Zubettgehen gegeben, erklärte er, "denn ich wusste immer, dass ich am nächsten Tag dort weitermachen konnte. wo ich aufhören musste."

Ob er den Kontakt zu Gleichaltrigen nicht vermisst habe, wollte eine Frau wissen. "Ich hatte ständig Kontakt zu anderen Kindern, zu jüngeren, zu älteren und zu gleichaltrigen. Ich konnte meine Freunde aussuchen und sie mich."

"Haben Sie denn Wissenslücken?", wollte ein Mann wissen. "Natürlich habe ich die", bekannte er freimütig und fügte an: "Wie alle anderen hier auch." Er habe nie Zeit und Energie in Dinge gesteckt, die ihn nicht interessierten. "Wenn ich heute auf eine Lücke stosse, dann schliesse ich sie und das fällt mir nicht schwer, weil es mich interessiert." Er sei in einigen Dingen extrem kompetent. Er baut Gitarren, schreibt Artikel, fotografiert und ist ein gefragter Referent. Dass er oft für Vorträge angefragt werde, sei ein Beleg dafür, dass eine Sehrsucht nach seiner Geschichte bestehe.

Und tatsächlich, je länger Stern von seinen Lern- und Lebenserfahrungen erzählte, desto begeisterter zeigte sich das Publikum. Ein Zuhörer erzählte, dass er heute noch davon träume, dass er an der Maturaprüfung versage.

Lernen ohne Druck und Versagensängste, das sei es, was es künftig brauche, fordert Stern. Aber dafür müsse die Gesellschaft bereit sein, einen radikalen Blickwechsel zu machen. "Mit meinen Vorträgen will ich dazu beitragen."